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Offener Brief an den Bundesrat: Stoppt das Bundesteilhabegesetz!

Symbolbild Rehabilitation (langer Einrichtungsflur mit leeren Rollstühlen vor der Tür)

Am Freitag, den 16. Dezember 2016, wird der Bundesrat ab 9:30 Uhr über das Bundesteilhabegesetz beraten. Die Ausschussempfehlungen sehen vor, dem Gesetz zuzustimmen und einen Entschließungsantrag zu finanziellen Aspekten des Gesetzes zu verabschieden. Das bedeutet nichts weniger als einen Angriff auf die Grundpfeiler von Selbstbestimmung, Teilhabe und nicht zuletzt auf die Menschenwürde.

Bei der neuen Regelung zur Einkommens- und Vermögensanrechnung ist positiv, dass die Ehepartner künftig nicht mehr mit ihren Einkünften herangezogen werden. Dass aber nach wie vor viele Betroffene einen Großteil ihres Einkommens und Vermögens offen legen bzw. an den Kostenträger abführen müssen, ist nicht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention und stellt nach wie vor eine Diskriminierung behinderter Menschen dar.

Die sogenannte 5-aus-9 Regelung, nach der behinderte Menschen auch dann keine Unterstützung erhalten, wenn sie eine Beeinträchtigung nur in wenigen „Lebensbereichen“ haben, wird nun zwar nicht direkt eingeführt, allerdings weiterhin bis 2023 evaluiert und ggfs. dann eingeführt. Damit könnten auch in Zukunft Betroffene ihren Anspruch auf Hilfen verlieren!

Das sogenannte Poolen ermöglicht das Erbringen von Unterstützungsleistungen für mehrere Personen gleichzeitig – auch gegen den Willen der Betroffenen. Einzig für einen kleinen Teil der Assistenzleistungen im Wohnumfeld wurde dieser Zwang nach Protesten aufgehoben. In anderen Bereichen ist ein Poolen gegen den erklärten Willen der Betroffenen weiterhin möglich!

Assistenzleistungen für ehrenamtliche Tätigkeiten dürfen nichts kosten: Sie müssen vorrangig durch ehrenamtliche Assistenten abgedeckt werden.

Wird eine Unterbringung in einer speziellen Wohnform (z.B. Heimen) für den Betroffenen für zumutbar erachtet und ist diese gleichzeitig günstiger, so können auch in Zukunft Betroffene gegen ihren Willen in anderen Wohnformen untergebracht werden. Neu ist nur, dass die gewünschte Wohnform explizit als eines von mehrere Kriterien bei der Bewertung der Zumutbarkeit genannt wird.

Das große Versprechen, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen und die UN-Behindertenrechtskonvention acht Jahre nach der Ratifizierung auch in Deutschland endlich gelebte Praxis werden zu lassen, wird mit dem vorliegenden Bundesteilhabegesetz bei weitem nicht eingehalten.

Deshalb rufen wir die Mitglieder des Bundesrates dazu auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern und dieses in den Vermittlungsausschuss zu verweisen. Damit dort endlich die Anregungen und Vorschläge der Betroffenen und deren Verbände Gehör finden.

Es sollte in diesem Gesetz um nichts weniger gehen, als behinderten Menschen in diesem Land die gleichberechtigte Teilhabe an jedem Aspekt des Lebens zu ermöglichen. Diesen Anspruch verfehlt dieses Gesetz! Dieses Gesetz degradiert Menschen zu Almosenempfängern, die sich das, was ihnen von Rechts wegen zustehen würde, erbetteln und erkämpfen müssen, sofern sie dazu überhaupt die Kraft aufbringen können.

Berlin, den 15. Dezember 2016

Erstunterzeichner:

Patrick Schiffer, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland
Kristos Thingilouthis, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland
Michele Marsching, Fraktionsvorsitzender der Piraten im Landtag NRW
Markus Walloschek, Stellv. Vorsitzender KV Erfurt
Klaus Sommerfeld, Richter im Bundesschiedsgericht der Piratenpartei Deutschland
Marie Salm, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes Rheinland-Pfalz der Piratenpartei Deutschland
Andreas Ronig, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei NRW
Kai Baumann, Vorsitzender der Piratenfraktion im Rat der Stadt Herzogenrath
Carsten Sawosch, stellv. Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland
Manfred Schramm, politischer Geschäftsführer der Piratenpartei NRW
Karl-Heinz Hildebrandt, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland, Kreisverband Wesel
Stefan Borggraefe, Vorsitzender Piratenpartei Kreisverband Ennepe-Ruhr
Marc Becker, Fraktionsvorsitzender „Die Linke & Piraten“ im Rat der Stadt Meerbusch
DerfairePirat, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei NRW
Andrea Deckelmann, Beisitzende im Landesvorstand NRW
Dennis Deutschkämer, Vorsitzender im Landesvorstand NRW
Lea Laux, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Piraten, Kandidatin für die Landtagswahl im Saarland
Luise Globig, Vorsitzende im Landesverband LSA
Thomas Michel, politischer Geschäftsführer PIRATEN Hamburg
Jürgen Grothof, politischer Geschäftsführer PIRATEN RLP
Torsten Sommer, Piratenfraktion NRW
Dietmar Hölscher Vorsitzender des Landesverbandes Bayern
Daniel Düngel MdL, Piratenfraktion NRW
Oliver Bayer MdL, Landtag NRW
Dr. Martin Schütz, Vorsitzender PIRATEN Landesverband Hamburg
Roman Schmitt, Koordinator Queeraten, Kandidat zur Bundestagswahl 2017
Bruno Kramm, ehemaliger Landesvorsitzender Berlin
Franz-Josef Schmitt, Politischer Geschäftsführer PIRATEN Berlin
Kathrin Jasper-Ahlers, politische Geschäftsführerin PIRATEN Schleswig-Holstein

Quellen:
[1] http://www.teilhabegesetz.org/
[2] #NichtMeinGesetz, #Bundesteilhabegesetz

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