Haus- und fachärztliche Versorgung
Eine ortsnahe hausärztliche Versorgung ist für uns ein natürlicher Faktor der Daseinsvorsorge,
genauso wie Schulen oder andere Elemente der Infrastruktur. Bricht ein Faktor weg, gefährdet
dies die Existenz der verbleibenden. Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erfordert eine
ortsnahe hausärztliche Versorgung auch im ländlichen Raum. Der Umgang mit dem
altersbedingten Ausscheiden der Hausärzte und der demographischen Entwicklung hat
Signalwirkung.
Wir verfolgen das Ziel, überall im Land eine ausgewogene Gesundheitsinfrastruktur zu
gewährleisten. Dazu sollte man auch über ergänzende Maßnahmen wie die Telemedizin
reden. Das ist in bestimmten Fällen eine gute Ergänzung.
Zur Gesundheitsinfrastruktur gehört zwingend die flächendeckende Versorgung mit
Fachärzten. Deshalb wollen wir durch gesetzliche Regelungen und Anreize eine
Kurskorrektur in der Ärzteversorgung zwischen Ballungsräumen und ländlichen Regionen
erreichen.
Online-Sprechstunden
Wir setzen uns für eine flächendeckende Etablierung von Online-Sprechstunden für so
genannte «Follow Up-Termine» ein. Bereits heute ist es möglich, dass sich Patienten den Weg
und die Zeit für ein medizinisches Follow-Up sparen können, weil dies online auf einer
sicheren Serverstruktur möglich ist. Die Ärzte müssen diesen Service angemessen vergütet
bekommen, damit die Attraktivität dieses Angebotes zunimmt.
Kommunale Anbieter
In unterversorgten Gebieten erhalten Kommunen das Recht, hausärztliche Vertragsarztsitze zu
übernehmen und dort Ärzte anzustellen. Zudem sollen mobile Arztpraxen Einzug in die
Regelversorgung finden können.
Notfallmedizin stärken
Die Überlebenschancen von Patient:innen hängen in Notfallsituationen unmittelbar von der Reaktion beteiligter Menschen ab. Um die Bevölkerung besser in die Lage zu versetzen, in solchen Situationen richtig zu handeln, streben wir Programme zur Förderung von Ersthelfer:innenmaßnahmen in allgemein- und weiterbildenden Bildungseinrichtungen an. Ein angemessenes Verhalten in Notfallsituationen soll auch durch die Einrichtung und Förderung von Schulsanitätsdiensten auf freiwilliger Basis in Bildungseinrichtung erleichtert werden.
Unterstützend möchten wir die Verbreitung von Defibrillatoren im öffentlichen Raum über das bisherige Maß fördern.
Weiterhin unterstützen wir die Einrichtung von APPs, die regional in der Lage sind bei Notfällen Fachpersonal im Umkreis zu verständigen. Gerade im ländlichen Bereich liegen die Zeiten bis zum erfolgten Einsatz an der oberen zulässigen Grenze – also rund 11 Minuten. Diese Zeit sinnvoll mit Ersthelfer:innen zu gestalten kann Leben retten.
Um nach Eintreffen des Rettungsdienstes jeder Patientin und jedem Patienten unabhängig von seinem Aufenthaltsort eine bestmögliche Erstversorgung zu gewährleisten, setzen wir uns für eine praxistaugliche Vereinheitlichung der Ausrüstung und Ausstattung von Rettungswagen ein. Die Geeignetheit der Standards sowie der entsprechend ausgestatteten Fahrzeuge für überörtliche Einsätze ist regelmäßig zu überprüfen.
Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum – eine Herausforderung
Wir fordern eine ortsnahe Gesundheitsversorgung. Hierfür sind unserer Meinung nach zusätzlich folgende Einrichtungen erforderlich:
Medizinische Versorgungszentren
Wenn im ländlichen Raum kleine Krankenhäuser geschlossen werden, muss durch einen ortsnahen Ersatz die Grundversorgung gewährleistet werden, z.B. durch Medizinische Versorgungszentren (MVZ), in denen mehrere ambulant tätige Ärzt:innen kooperativ unter einem Dach zusammenarbeiten oder, wie die Robert Bosch Stiftung vorschlägt, so genannte PORT-Zentren, Patient:innenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung. PORT-Zentren übernehmen sowohl präventive Aufgaben als auch auf die Region abgestimmten Bedarfe.
Community Health Nurses
In den PORT-Zentren ist vorgesehen, Community Health Nurses aus dem neuen pflegerischen Berufsbild zu beschäftigen. In Finnland, Kanada oder auch den USA werden Community Health Nurses schon seit vielen Jahren eingesetzt. Dies wäre auch für Deutschland eine Chance, das marode Gesundheitssystem zu entlasten. Hierzu braucht es ein Studium und einen Master in Pflege, um zur Weiterbildung zu gelassen zu werden. Community Health Nurses, kurz CHN, werden bei Prävention, Grundversorgung und bei der Koordination der nächsten Behandlungsschritte eingebunden. Zu ihren Aufgaben gehören:
- Prävention
- Gesundheitsförderung
- heilkundliche Aufgaben, die Aspekte der Steuerung, Beratung und Unterstützung beinhalten
- Stärkung der Gesundheitskompetenz der Patient:innen
Die CHN ist also eine Weiterentwicklung des früheren Berufsbild der «Gemeindeschwester».
Rettungsketten
Ebenso muss der Standard für alle Rettungsketten vereinheitlicht werden. Hierzu werden zum Beispiel Stroke-Krankenwagen gebraucht, wie sie bereits in Berlin erfolgreich im Einsatz sind. Stroke-Krankenwagen sind Rettungswagen, die Schlaganfallpatient:innen schon im Fahrzeug adäquat versorgen können, bis der Transport zum nächsten, möglichst auf Schlaganfälle spezialisierten Krankenhaus erfolgt ist. Wichtig sind auch geschultes Rettungspersonal und medizinische Ausrüstung zur Erstversorgung von z.B. Infarkten und Schlaganfällen, denn auch wenn der neue Krankenhausplan verspricht, dass Krankenhäuser mit internistischem und chirurgischem Versorgungsangebot für mindestens 90% der Bevölkerung innerhalb von 20 Minuten erreichbar sein werden, vergeht für viele Patient:innen wertvolle Zeit auf dem Weg dorthin.
Wir wissen, dass Modernisierung und Veränderung enorme Investitionen erfordern. Aber wir erwarten, dass hier nicht am falschen Ende gespart wird. Eine Investition in die Gesundheit der Menschen reduziert zudem langfristig die hohen Krankheitskosten und den hohen Krankenstand durch Abmilderung der Spätfolgen.
Stärkung von Zivil- und Katastrophenschutz
Wir PIRATEN setzen uns für eine gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen im Zivil- und Katastrophenschutz ein. Dazu gehört die Festlegung einheitlicher Standards und Vorschriften auf Bundesebene, sowie die Stärkung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und Ausbau zu einer Zentralstelle für den Bevölkerungsschutz, die bei länderübergreifenden Großschadenslagen auch eine Führungs- und Koordinationsfunktion wahrnimmt. Durch eine Grundgesetzänderung ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Zentralstellenkompetenz auszustatten.
Nach dem Vorbild des Havariekommandos in Cuxhaven, müssen gemeinsame Strukturen geschaffen werden, die im Ernstfall eine effiziente Hilfe ermöglichen, ohne dass es zu Streit um Kompetenzen kommt.
Die strikte Trennung der Zuständigkeiten in Zivilschutz (Bund, Verteidigungsfall) und Katastrophenschutz (Länder) sollte aufgehoben werden. In diesem Zug ist auch die zivil-militärische Zusammenarbeit weiter auszubauen, damit im Katastrophenfall noch schneller auf spezielle Fähigkeiten der Bundeswehr, insbesondere im Bereich ABC-Abwehr, Fernmeldewesen, Sanitätswesen oder Pionierdienst zurückgegriffen werden kann.
Die finanziellen Mittel des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sind deutlich aufzustocken, um die seit Ende des Kalten Krieges drastisch reduzierten Ressourcen wieder aufbauen zu können. Hierzu zählt neben der Aufstockung der Bevorratung von Schutzbekleidung und Medikamenten und Versorgungsgütern für Notfälle auch die personelle und materielle Aufstockung des Technischen Hilfswerks (THW).
Um in Zeiten knapper Kassen und der Schuldenbremse in Ländern und Kommunen keine Defizite im Bevölkerungsschutz entsteht zu lassen, setzten wir uns dafür ein, dass der Bund einen Großteil der Kosten für Zivil- und Katastrophenschutz trägt. Der für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz vorgesehene Etat ist deutlich aufzustocken.
Steuerfinanziertes Gesundheitswesen
Wir wollen wenigstens die Pflege- und die Rentenversicherung als paritätisch finanzierte Sozialversicherung fortführen. Die Krankenkassen sollen auf ein steuerfinanziertes Gesundheitswesen umgestellt werden, damit alle Einkommen unabhängig von Einkommensart und Beitragsbemessungsgrenzen herangezogen werden. Dabei muss eine ausreichende Finanzierung des Gesundheitswesens sichergestellt werden. Es darf keine „Behandlung nach Kassenlage“ erfolgen.
(aus dem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021, aus dem Wahlprogramm der Piratenpartei SH sowie aus dem Wahlprogramm der Piratenpartei NRW)