Was ist das überhaupt, geschlechtersensible Medizin? Bekannter ist es unter dem Begriff Gendermedizin. Wie kam es dazu und wie ist der aktuelle Stand? Mit diesen Themen befasst sich unser heutiger Beitrag.
Was ist geschlechtersensible Medizin (Gendermedizin)?
Unser Geschlecht hat Einfluss auf Symptome und Therapieerfolg. Gendermedizin, was geschlechtersensible Medizin genau genommen ist, will das Wissen um diese Unterschiede nutzen.
Es wurden klinische Studien überwiegend mit jungen, männlichen Probanden durchgeführt, Frauen in der Folge wie kleinere, leichtere Männer behandelt. Dabei weiß man, dass Männer und Frauen bei einigen Krankheiten andere Symptome zeigen und aufgrund der unterschiedlichen Physiologie Medikamente sogar anders wirken können. Tatsächlich leiden an manchen Krankheiten in erster Linie Frauen, andere treffen hauptsächlich Männer, also sozusagen genderspezifische Erkrankungen wie z. B. Gebärmutterhalskrebs oder Hodenkrebs. Aufgrund der Kritik der Unterpräsentation kann aber beobachtet werden, dass seit einigen Jahren Frauen anteilig in medizinische Studien eingebunden sein müssen. Einer der daraus resultierenden Vorteile ist, dass es zu einem besseren Verständnis zu den geschlechterspezifischen Unterschiede in der Medizin geführt hat.
Was genau sind aber nun diese geschlechtsspezifischen Unterschiede?
Aktuellere Forschungen haben aufgedeckt, dass neben Herzinfarkten, Diabetes und Osteoporose, weitere geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, wie z. B.:
• Während die Krankheit Osteoporose bei Männern oftmals unentdeckt bleibt, leiden Frauen bis zu viermal häufiger daran.
• Frauen leiden häufiger an Alzheimer. Sie sind mit rund zwei Drittel überproportional häufiger betroffen. Man geht hiervon davon aus, dass dies nicht nur mit der höheren bzw. längeren Lebenserwartung zusammenhängt, sondern auch durch die hormonellen Unterschiede hervorgerufen wird.
• Das Risiko an Parkinson zu erkranken, ist bei Männern doppelt so hoch. Allerdings erreicht die Erkrankung bei Frauen schneller das Endstadium.
• Das Immunsystem von Frauen ist das Aktivere, allerdings sind Frauen anfälliger für Autoimmunerkrankungen wie etwa Lupus¹ oder rheumatoider Arthritis². Hier spielen sowohl hormonelle als auch genetische Faktoren eine Rolle. In Zahlen ausgedrückt bedeutet es, dass etwa viermal so viele Frauen an Autoimmunerkrankungen leiden wie Männer.
Hintergrund- und Geschichtswissen aus dem Bereich der Medizin
Geschichtlich hat sich die Gendermedizin aus der Frauenbewegung der 1960er und der daraus entstandenen Frauen- und Männergesundheitsforschung entwickelt. Als Pionierinnen der Gendermedizin gelten Bernadine Healy, welche Anfang der 1990er in ihrem Artikel „The Yentl Syndrome“ anprangerte, dass Frauen erst beweisen müssten, so krank zu sein wie ein Mann, um dieselbe Behandlung zu erhalten
Weil das Bild von Gesundheit und Krankheit in der Medizin androzentrisch (Fixierung auf den Mann oder das „Männliche») geprägt war, legte die Gendermedizin zunächst einen speziellen Schwerpunkt auf eine ganzheitliche Betrachtung der Frauengesundheit: Klinische Studien wurden früher vor allem an Männern durchgeführt, da Frauen über Jahrhunderte medizinisch schlicht als ‚kleiner Mann‘ gesehen wurden. Einzig frauenspezifische Vorgänge wie Schwangerschaft und Geburt unterlagen nicht dieser Diskriminierung.
Was hat sich durch die Gendermedizin verändert?
Pflegefachkräfte werden explizit darin geschult, Herzinfarkte bei einer Frau zu erkennen, weil diese tatsächlich mit anderen Symptomen verläuft als bei einem Mann: Der weibliche Herzinfarkt geht oftmals mit unspezifischen Symptomen wie Beschwerden im Oberbauch, Übelkeit und Erbrechen einher. Anzeichen, die keinen Herzinfarkt vermuten lassen, wenn nur die typisch männlichen Symptome bekannt sind: Schmerzen hinter dem Brustbein, die in den linken Arm ausstrahlen. Hilfe kommt deshalb in diesem Fall für Frauen oft spät, wenn nicht gar zu spät.
Auch relevant ist der Umstand, dass Frauen häufiger als Männer eine Glukoseintoleranz zeigen und somit Diabetes mellitus bei Frauen länger unerkannt bleibt, da sie nur durch einen zeitaufwändigen oralen Glukosetoleranztest erkannt werden kann.
Krankheiten, die eigentlich eher Frauen zugeschrieben werden, wie Depressionen oder Osteoporose kommen auch bei Männern vor. Eine Frau, die unter Depressionen leidet, zeigt oft vermindertes Selbstwertgefühl und kaum Selbstvertrauen, auch Schuldgefühle, Wertlosigkeit bis hin zu Suizidgedanken sind Hinweise auf eine Depression. Männer leiden unter anderen Symptome wie erhöhte Risikobereitschaft, geringe Stresstoleranz und Wutattacken.
In Deutschland gibt es 1,3 Mio. Osteoporosefälle bei Männern, von denen aber die Mehrzahl nicht diagnostiziert und nicht behandelt wird. Es ist immer noch etwas Ungewöhnliches und eine Herausforderung, bei einem männlichen Patienten mit unklaren akuten oder chronischen Rückenschmerzen Osteoporose zu diagnostizieren. Meist erfolgt eine symptomatische Schmerztherapie. Generell wird anerkannt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in den Struktur- und Materialeigenschaften des Knochens gibt. Bei allen neuen Osteoporose-Therapeutika sind die entscheidenden zulassungsrelevanten Studien bei postmenopausalen Frauen durchgeführt worden, sodass die jeweiligen Substanzen auch zunächst nur für diese Frauen zugelassen wurden. Studien an Männern wurden meist erst Jahre später durchgeführt. Für die Zulassung zur Behandlung der Osteoporose des Mannes mussten vergleichbare Anstiegsraten der Knochendichte und Effekte auf die Knochenumbaumarker nachgewiesen werden.
Die Evidenzuntersuchungen von Medizin und Therapie sollte also für Frauen und Männer getrennt ablaufen. Somit können Medikamente und Therapien bei Männern und Frauen besser eingestellt werden und auch hergestellt werden.
Wir sehen die positive Entwicklung in der Gendermedizin und blicken diesbezüglich optimistisch in die Zukunft.
Quellen:
[1] https://www.apotheken-umschau.de/weitere-themen/gendermedizin-anders-und-gleich-zugleich-753339.html
[4] https://www.ptaheute.de/aktuelles/2022/12/06/warum-erkranken-frauen-haeufiger-an-alzheimer
[5] https://dpv-bw.de/parkinson-bei-frauen-und-maennern-verschieden/
[6] https://www.kkh.de/blog/persoenlichkeit/gender
[7] https://www.gender-glossar.de/post/gender-medizin
Fußnoten:
¹ Lupus: «Lupus ist eine chronische Autoimmunkrankheit. Die Patient*innen bilden eine Vielzahl von Antikörpern gegen körpereigenes Gewebe, die dieses angreifen und Entzündungen in verschiedenen Teilen und Organ-Systemen des Körpers hervorrufen. Diese Entzündungen können im Laufe der Zeit die betroffenen Organe dauerhaft schädigen. Lupus verläuft typischerweise in Schüben und tritt in verschiedenen Formen auf.»
Quelle: https://www.lupuscheck.de/lupus/was-ist-lupus.html#:~:text=Lupus%20ist%20eine%20chronische%20Autoimmunkrankheit,Organ%2DSystemen%20des%20K%C3%B6rpers%20hervorrufen
² rheumatoider Arthritis: «Die rheumatoide Arthritis ist die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung. Im deutschsprachigen Raum spricht man auch von der chronischen Polyarthritis. „Chronisch“ bedeutet, dass die Krankheit lange andauert. „Poly“ leitet sich vom griechischen Wort für „viel“ ab und meint hier: Die Krankheit betrifft eine Vielzahl von Gelenken. Aufgrund der internationalen Bedeutung ist der Begriff rheumatoide Arthritis heute üblich.»
Quelle: https://www.rheuma-liga.de/rheuma/krankheitsbilder/rheumatoide-arthritis#c2027
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