I. Sachverhalt
Pflegekräfte, Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertreter/innen und Jugend- und Auszubildendenvertreter/innen aus Krankenhäusern in ganz Deutschland schlagen seit Jahren Alarm: Die Situation in der Pflege vieler deutscher Krankenhäuser ist zunehmend durch Personal- und Zeitknappheit gekennzeichnet.
Zuletzt verschaffte sich Verdi im Juni 2015 mit dem Pflegestreik an der Berliner Charité Gehör. Berechnungen von Verdi zufolge fehlen 162.000 Stellen – davon 70.000 Pflegekräfte (circa 2,8 Milliarden Euro, bei durchschnittlich 40.000 Euro Bruttolohnkosten für den Arbeitgeber) in deutschen Krankenhäusern. Dieser Personalmangel führt dazu, dass der selbst gestellte Anspruch an guter Behandlung und Versorgung nicht mehr erfüllt werden kann. Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten ist gefährdet.
Nach Daten des Statistischen Bundesamts zu den Grunddaten der Krankenhäuser für die Datenjahre 2004-2012 betrug die Zahl der Vollkräfte im Pflegedienst im Jahr 2004 282.890 Vollkräfte. 2012 wuchs die Zahl auf 291.143 Vollkräfte an. Das entspricht einer Steigerung von drei Prozent. Im Hinblick auf eine Fallzahlsteigerung von elf Prozent (Von circa 16 Millionen im Jahr 2005 auf circa 18 Millionen im Jahr 2013 Patientinnen und Patienten mit vollstationärem Aufenthalt) wird deutlich, dass alleine die statistische Arbeitsbelastung zugenommen hat.
Schon das „Pflege-Thermometer 2009“ machte auf die Gefahr aufmerksam, dass
insbesondere bei schwerkranken Patienten mit hohem Betreuungsaufwand häufig Mängel in der Versorgung auftreten. So ging bei einer Befragung von Pflegekräften nur jeder Dritte davon aus, dass sämtliche notwendigen Maßnahmen erbracht werden konnten. 80% der Pflegekräfte konnten nicht ausschließen, dass Mängel bei der Versorgung in den letzten sieben Tagen aufgetreten sind.
Im „Pflege-Thermometer 2012“ wurde festgestellt, dass die Personaldecke in Intensivstationen unzureichend ist. Sogar die Empfehlungen der Fachgesellschaften werden nicht umgesetzt.
Im aktuellen „Pflege-Thermometer 2014“ kommen die Autoren wiederum zu dem Ergebnis, dass die Personalausstattung im Pflegebereich sich weiterhin auf einem niedrigen Niveau befindet. Aus Ihrer Sicht ist die Situation äußerst angespannt und es besteht dringender Handlungsbedarf, da die Versorgungs- und Behandlungsintensität erheblich gesteigert wurde.
Nationale Erhebungen verdeutlichen, dass die Einführung der Diagnosebezogenen Fallgruppenabrechnungen (DRG) im Jahre 2004 zu einer enormen Arbeitsverdichtung geführt hat und die Finanzierung der „Pflege am Bett“ massiv gefährdet.
Die Pflege wird im DRG-System aktuell über eine indirekte Orientierung an der veralteten und außer Kraft gesetzten Pflegepersonal-Regelung (PPR) finanziell berücksichtigt. Darüber hinaus wird der pflegerische Aufwand seit 2009 mit dem Pflegekomplexmaßnahmen-Score (PKMS) im DRG-System ergänzend abgebildet. Allerdings fehlt auch bei dem PKMS eine Weiterentwicklung, sodass die Mehrheit der Krankenhäuser das System bereits 2012 als nicht sachgerecht ablehnte. Nachdem die durch den Deutschen Pflegerat angeregten Anpassungen nicht übernommen wurden und der Pflegerat seine Mitarbeit daraufhin aufgekündigte, kann das System als gescheitert angesehen werden. Damit birgt die Kalkulationslogik der DRGs (über PPR und PKMS) die Gefahr, dass sich Personalknappheit nachhaltig manifestiert.
Aber nicht nur die in der DRG-Logik begründeten Nachteile für die „Pflege am Bett“ verstärken den Personalmangel. Im Jahr 2012 wurden den Krankenhäusern für Investitionen 2,6 Milliarden Euro von den Bundesländern (in NRW beträgt die Investitionskostenförderung circa 533 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt. Vor zwanzig Jahren lag die Investitionsfinanzierung der Bundesländer noch bei 3,8 Milliarden Euro, das heißt es gab seitdem einen Abbau um rund 30 Prozent, während im gleichen Zeitraum die Krankenhausausgaben der Krankenkassen um 45 Prozent (34 Milliarden Euro) auf insgesamt über 75 Milliarden Euro angestiegen sind. Damit ist der Anteil der Bundesländer an den Krankenhauskosten von zehn auf drei Prozent gefallen. Die seit Jahren anhaltende mangelnde Investitionskostenfinanzierung durch die Länder hat auch auf die Pflege verheerende Auswirkungen. So stehen viele Krankenhausverantwortliche zusätzlich unter Druck, die Investitionskosten mit Geldern zu decken, die eigentlich für das Pflegepersonal eingesetzt werden sollten.
Die Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt, dass ohne eine
strukturelle Bereitstellung von Mitteln für die Krankenhauspflege keine wirksamen Effekte erzielt werden können.
Denn die Reaktionen auf politischer Ebene mit kurzfristigen Förderprogrammen waren stets ein Tropfen auf den heißen Stein: So wurde zu Beginn der 1990er Jahre mit dem Gesundheitsstrukturgesetz die Pflegepersonal-Regelung (PPR) eingeführt, um auf den Personalmangel zu reagieren. Insgesamt konnten damit vorübergehend zusätzlich 21.000 Vollzeitstellen aufgebaut werden. 1997 wurde die Pflegepersonal-Regelung (PPR) außer Kraft gesetzt. In den folgenden circa zehn Jahren sank die Zahl der Pflegekräfte um 50.000 Vollzeitkräfte. Die Not wurde erkannt und mithilfe eines Bundesförderprogramms zwischen 2009-2011 konnten kurzfristig 13.600 Stellen mit einem Finanzierungsvolumen von 1,1 Milliarden Euro geschaffen werden. Dennoch hat dieses Programm nicht zu einer dauerhaften Entspannung der Situation geführt.
Aktuell wird als Ergebnis einer Bund-Länder Arbeitsgruppe ein Krankenhausstrukturgesetz diskutiert. Darin sollen mit einem Pflegestellenförderprogramm von 2016 bis 2018 bis zu 660 Millionen Euro ausschließlich für die „Pflege am Bett“ bereitgestellt werden. Doch zehn Prozent der Personalkosten müssen die Krankenhäuser selbst finanzieren. Laut Bundesgesundheitsministerium könnten damit circa 6.350 neue Stellen geschaffen werden.Das sind durchschnittlich etwa drei zusätzliche Stellen für jedes der derzeit 2000 deutschenä Krankenhäuser.
Bereits jetzt gehen Verdi, verschiedene Kliniken und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe davon aus, dass die geringfügige Stellenausweitung von durchschnittlich drei Pflegenden pro Krankenhaus über einen Zeitraum von drei Jahren nicht in allen Bereichen gleichermaßen zu finden sein, es dadurch zu keiner Verbesserung der Versorgungsqualität und nicht zu einer notwendigen Entlastung für das Pflegepersonal kommen werde.
II. Der Landtag stellt fest,
- Die aktuelle Personalsituation in der Krankenhauspflege ist ungenügend.
- Die Sicherheit von Patientinnen und Patienten und ihre gute Versorgung sind nur mit
mehr Personal zu gewährleisten. - Kurzfristige und zeitliche begrenzte Förderprogramme werden dem großen
Handlungsbedarf nicht gerecht.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- eine Expertenkommission in NRW einzusetzen, die mit der Entwicklung einer bedarfsgerechten Personalbemessung für die Pflege beauftragt wird, um den zukünftigen finanziellen Bedarf abzubilden.
- begleitend zu der Expertenkommission in NRW ein Pflegehearing mit Pflegefachverbänden, Pflegeberufsverbänden, Pflegewissenschaftlern und allen in der Pflege Tätigen einzurichten und diese regelmäßig durchzuführen.
- mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Bundesregierung einzuwirken, dass
das Pflegestellenförderprogramm (2016-2018) zur kurzfristigen Unterstützung des
Pflegepersonals von 660 Millionen Euro auf mindestens 2 Milliarden Euro angehoben
wird. - die Investitionskostenförderung im Landeshaushalt um 500 Millionen auf eine Milliarde Euro anzuheben, um den Investitionskostenstau zu entschärfen. Damit soll auch der gängigen Praxis entgegengewirkt werden, dass Teile der Fallpauschalen, die eigentlich für die Patientenversorgung und damit für die Finanzierung des Personals vorgesehen
sind, für die Finanzierung von Investitionskosten verwendet werden. - in Gespräche mit allen Krankenhausträgern und der Krankenhausgesellschaft daraufhin zu wirken, dass Zielvereinbarungen unterschrieben werden, worin die Krankenhausträger Ihren Willen bekunden, auskömmlich Pflegepersonal einzustellen.
Michele Marsching
Marc Olejak
Daniel Düngel
Monika Pieper
und Fraktion
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