Gesundheit

Corona und die Resilienz

Corona und die Resilienz
Dieser Beitrag ist die Position eines AG-Mitglieds und keine offizielle Parteimeinung.

Am 1. August 2020 trafen sich in Berlin laut Angaben der Polizei rund 20.000 Menschen, um gegen Coronaschutzmaßnahmen, Maskenpflicht und letztlich auch den gesunden Menschenverstand zu demonstrieren.

Wenn Verschwörungstheorien verschiedenste politische Strömungen einen

Die Kundgebung war von der Stuttgarter Initiative “Querdenken 711” angemeldet worden. In Stuttgart demonstrierte diese Initiative bereits mehrfach, und in ihrem Dunstkreis sammeln sich Identitäre, Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten. Im Rahmen der gestrigen Proteste sammelten sich jedoch nicht nur Rechtspopulisten und Identitäre. Nein, geeint durch die Verschwörungstheorie, die Pandemie sei eine von den Regierungen ausgegebene Falschmeldung und die Hygiene- und Schutzmaßnahmen seien eine gezielte Unterdrückung der Grundrechte und der Freiheit in unserem Land, liefen dort Medienberichten und Berichten auf Twitter zufolge Linke zusammen mit Rechten und Grünen. Selbst LGBTQ-Fahnen sollen gesichtet worden sein.

Querfront von „außen gesteuert“? – Fake-News, Filterblase und Informationskrieg

Resilienz wird in der neueren Soziologie die Fähigkeit von Gesellschaften genannt, externe Störungen zu verkraften, ohne dass sich ihre wesentlichen Systemfunktionen ändern. [1]

AnkerDer aktuelle Informationskrieg soll die Resilienz einer (demokratischen) Gesellschaft angreifen. So berichtete eine Studie der Universität Ulm vom Januar 2020, dass insbesondere junge Menschen jedweder politischen Couleur, die sich vor allem über die sozialen Medien informieren (müssen), gefährdeter sind, in sogenannten Filterblasen gefangen zu werden.

Es wurde weiter untersucht, welche psychologischen Faktoren bei Menschen diese besonders für Fake-News zu Corona anfällig machen. So wurde festgestellt, dass emotional instabile und neurotische Menschen durch die häufigere Verweildauer im Netz anfälliger für Manipulation sind. Währenddessen hilft hingegen Offenheit als Charakterzug, eine Resilienz gegenüber Fake-News aufzubauen. Diese verschiedenen Charakterzüge zeigen auch, ob man eher dazu neigt, sich eine eigene Filterblase aufzubauen oder versucht, sich objektiver und vielfältiger zu informieren.

Wo früher Flurfunk und Gerüchte wenigstens noch eine Zeit lang brauchten, um sich zu verteilen, weil keine massenmediale Verbreitung möglich war, sind heute Fake-News schnell verbreitet. Twitter, Facebook und soziale Medien sind eine gute Informationsquelle, müssen aber immer mit der richtigen Portion Mitdenken konsumiert werden, um entsprechend eingeordnet zu werden. Da, wo dieses Mitdenken fehlt, verbreiten sich heute Falschaussagen wie Lauffeuer, und ist eine “Urban Legend” erst einmal verbreitet, ist sie nur schwer wieder zu widerlegen.

Externe Akteure bekommen so auch potentielle Angriffspunkte auf dem Silbertablett geliefert: Durch das geschickte Streuen von Informationen in Sozialen Medien und gezieltes Kommentieren von Beiträgen können sie, so bequem und ungefährlich wie nie zuvor, den Feind von innen torpedieren.

Die Feigheit vor der unbequemen Debatte schadet uns allen

Insgesamt ist es ein Problem unserer Zeit, dass man sich nur ungern mit Dingen sachlich und vernünftig beschäftigt, die der eigenen Ansicht zuwiderlaufen. Die Dinge beim Namen  zu nennen, führt in den Sozialen Medien schnell dazu, dass man als Angreifer wahrgenommen und entsprechenden Abwehrreaktionen ausgesetzt wird.

Es ist für viele Menschen verführerisch, Framings und die Berichte zu rezipieren und in den sozialen Medien zu verbreiten, welche die eigene Darstellung unterstützen. Das vielbeachtete Debakel um den Bericht bei Panorama im Juli 2020, in dem es darum ging, eine Person aus der Bundeswehr gezielt in die Öffentlichkeit zu zerren und zu zerstören, ist eventuell ein Lehrstück für spätere Generationen. Es zeigt, wo wir als Gesellschaft Nachholbedarf haben und dass wir noch lernen müssen, wie wir als Gesellschaft mit solchen Aktionen umgehen. Unbequeme Diskussionen oder Ideen, welche im Getöse untergehen, sind so am Ende eine de facto Zensur. Eine aufgeklärte Gesellschaft hat keinen Bedarf hieran, sondern blüht in einer offenen, vielfältigen Debatte erst richtig auf.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So ist es nur normal und folgerichtig, wenn wir uns über die Zeit hinweg an eine Art und Weise, mit etwas umzugehen, gewöhnen. Bereits jetzt sind Anzeichen dafür, dass Fake News “einfach dazu gehören”, sichtbar. Auch der Umgang, der im Netz in den Sozialen Medien miteinander gepflegt wird, zieht sich bereits jetzt mit ins reale Leben. Der Ton wird rauher.

Gleichzeitig bewegt sich zudem die Gesellschaft immer mehr von einer vielfältigen, offenen Gesellschaft, in der andere Ansichten akzeptiert und konstruktiv bewertet werden weg. In den Sozialen Medien spricht man, in Anlehnung an Nixons Watergate, hierbei oft von einem “-gate”. Der öffentliche Druck steigt und wird von Interessengruppen entsprechend durch passende Kommentare, Retweets und Likes angeheizt, bis ein “-gate” daraus geworden ist. Oft brechen die so angegriffenen Stellen daraufhin ein, revidieren ihre Aussage oder distanzieren sich davon. Die Crux an der Sache: kaum hat man den Shitstorm des “-gate” hinter sich gebracht und wähnt sich in Sicherheit, beginnt der Shitstorm derer, die einen nun dafür rügen, vor der Masse “eingeknickt” zu sein. Ein Artikel, der dies deutlich zeigt, findet sich in der Flaschenpost.

Schwache staatliche Institutionen? Oder eher Querfront in der Verachtung der Demokratie?

In Krisenzeiten ist es fatal, wenn eine Gesellschaft schon vorher massiv unter Druck stand. Kurz vor der Coronapandemie hatten die gesellschaftliche Polarisierung und der Angriff auf demokratische Institutionen ihren Höhepunkt um die Wahl des Ministerpräsidenten von Thüringen genommen. Gesellschaftliche Konflikte, welche über Jahre vor sich hin köchelten, sind in den letzten Jahren immer mehr an die Oberfläche gekommen.

Inzwischen wird deutlich, dass beide Ränder des politischen Spektrums die demokratischen Institutionen verachten. Aussagen wie die des Filmemachers Mario Sixtus, der das “gratis Bahnfahren” von Soldaten mit “gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit” kommentierte und Bundeswehrsoldaten im Februar dieses Jahres auf Twitter angriff, machen dies deutlich.

Maske und Abstand gab es nur bei Journalisten und der Polizei

Die Polizei rief mehrfach – erfolglos, wie bei dem angetretenen Klientel auch nicht anders zu erwarten war – zur Befolgung der Hygieneanordnungen auf. Mund-Nase-Schutz (MNS) und Abstand waren, erwartungsgemäß, bei dieser Veranstaltung nur bei Journalisten und der Polizei zu beobachten.

Am Ende wurde die Veranstaltung dann vorzeitig von der Polizei aufgelöst. Der Veranstalter musste von der Polizei gewaltsam von der Bühne entfernt werden. Auch war von Angriffen auf die Polizei die Rede, weit nach der eigentlichen Auflösung der Veranstaltung. Die Polizei war indes nach unserem Dafürhalten völlig unvorbereitet und mit ungenügender Mannstärke vertreten.

Pandemien sind nicht die richtige Zeit für Großveranstaltungen

Lassen wir die Klientel, von der die Veranstaltung ausging und die sich dort mehrheitlich traf, mal außen vor. Immerhin wurden auch genügend Linke, Grüne und andere gesichtet. Grundsätzlich sind wir Piraten sehr empfänglich dafür, wenn Menschen für ihre Grundrechte demonstrieren. Das Recht, sich im Zweifel auch über Demonstrationen und Proteste Gehör zu verschaffen, seine Meinung frei und sich der Regierung gegenüber kritisch zu äußern, sind mithin ungemein wichtige Pfeiler unserer Demokratie. Diese Pfeiler sind mit aller demokratischen Gewalt zu schützen.

Wir sind allerdings nicht der Ansicht, dass Pandemiesituationen hierbei außen vor sein sollten. Wir wissen auch nicht, welche Überlegungen die Zuständigen in Berlin dazu bewogen haben, diese Demonstration zu genehmigen. Da wusste man doch schon im Voraus, dass sich dieses Klientel nicht an Abstandsregeln und die Maskenpflicht halten würden. Das war immerhin buchstäblich der Aufhänger der ganzen Sache.

Wir sehen die Ereignisse des 1. August daher kritisch. Wir hoffen sehr, dass wir dadurch keine erhöhten Infektionszahlen zu befürchten haben. Unsere Grundrechte sind ein hohes Gut und ja, aktuell sind diese in Teilen aufgrund der Pandemiesituation temporär eingeschränkt. Die Einschränkungen sind jedoch sehr limitiert und schlicht sinnvoll: Durch Abstand, MNS und die Vermeidung von Großveranstaltungen verringern wir effektiv die Verbreitungschancen des Virus.

Die Hoffnung auf Vernunft bleibt

Wir haben bereits viel erreicht. Deutschland wird gemeinhin als eines der Länder bezeichnet, welche die Pandemie bislang sehr souverän gemeistert haben. Und das mit vergleichsweise nur sehr geringen Einschränkungen. Lassen Sie uns das jetzt nicht kaputt machen, indem wir unachtsam, indifferent und überheblich werden.

Unser Aufruf an Sie lautet daher: tragen Sie in öffentlichen Räumen, im ÖPNV und überall da, wo Sie keinen Abstand halten können, einen MNS. Halten Sie möglichst Abstand. Meiden Sie Großveranstaltungen und öffentliche Zusammenkünfte, wo immer möglich. Und: bleiben Sie gesund!

Dieser Text ist eine Gemeinschaftsarbeit von Schoresch Davoodi und Tobias Buturoaga.

Quellen (soweit nicht direkt im Text verlinkt)
[1] Sabine Blum, Martin Endreß, Stefan Kaufmann, Benjamin Rampp: Soziologische Perspektiven, in: Rüdiger Wink (Hrsg.): Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung, Wiesbaden 2016 S. 151-177